Untergangsfiktionen: In die Katastrophe gehen wir ganz normal

Nr. 16 –

Das Problem mit Katastrophenfilmen war stets, dass sie den Kollaps als Fremdeinwirkung imaginiert haben ohne Blick für das, was der Katastrophe eigentlich zugrunde liegt. Das scheint sich jetzt zu ändern.

Filmstill aus «Leave the World Behind»: ein Supertanker fährt auf einen Badestrand zu, Menschen am Badestrand flüchten
Die Havarie eines Supertankers ist nur der Anfang. In «Leave the World Behind» ist bald kein Verlass mehr auf den dünnen Firnis der Zivilisation. Still: Netflix

Kulturindustrielle Katastrophenfiktionen haben seit jeher eine besondere Beziehung zum gesellschaftlichen Unbewussten. Zum Millennium hin, als das sogenannte Ende der Geschichte keinen Raum für gesellschaftliche Alternativen zum Spätkapitalismus zuliess, florierten die Alieninvasionen. Filme wie «Mars Attacks!» und «Independence Day» markierten 1996 den Höhepunkt des Ausdrucks jener dunklen Ahnung, dass etwas Schlimmes hinter der Konsumgesellschaft lauere: Das bedrohliche Mutterschiff der Ausserirdischen, das seinen Schatten der Vernichtung über Washington legt, ist eine allzu deutliche Projektion.

Die Externalisierung des Katastrophischen war gewissermassen ein Effekt der gesellschaftlichen Tendenz zur Totalisierung. Je fugenloser sich die globalisierte Welt ideologisch zum weltumspannenden «Empire» abzudichten schien, wie Michael Hardt und Antonio Negri die «neue Weltordnung» im Jahr 2000 beschrieben, desto eher wurde der Kollaps als Fremdeinwirkung imaginiert. Parallel zu den Angriffen aus dem Weltall funktionierte diese Fantasie auch als Rache der Natur. Roland Emmerichs Endzeitfilme wie «The Day After Tomorrow» oder «2012» lassen sich als Projektionen einer zunehmend klimabewussten Mittelschicht im neuen Jahrtausend lesen, der langsam die Dialektik der Aufklärung zu dämmern begann.

All diesen Fiktionen – darin sind sie eben Kulturindustrie – ist gemein, dass sie das gesellschaftliche Verhängnis als Katastrophe zwar abbilden, aber nicht aufklären. Sie bleiben in gewisser Weise Teil der Katastrophe und ihrer Symptomatik. Selbst die kritisch-ironische Darstellung des Films «Don’t Look Up!» (2021), der die Blödheit und Massenverblendung angesichts des selbstverschuldeten Untergangs der Menschheit aufs Korn nehmen wollte, hatte zum Zusammenhang der Katastrophe wenig mehr zu sagen als: Die Menschen sind eben blöd. Die Indifferenz gegenüber der gesellschaftlichen Genese jener Katastrophen liegt in der kulturindustriellen Logik selbst: Statt Aufklärung und Selbstkritik gibt es Gänsehaut und Erschaudern, die «Urängste» der Menschen sind hier nicht einfach Motiv der Filme, sondern deren Substrat. Je irrationaler diese Ängste verarbeitet und damit auf dem Niveau des Unbewussten gehalten werden, desto besser lassen sie sich beim nächsten Mal für denselben Zweck wieder abrufen. Diese Technik der Kulturindustrie ist eben die eines faschistischen Agitators.

Jenseits von Gut gegen Böse

Das dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Katastrophe nicht mehr für den Film taugt, wenn sie schon zu direkt erfahrbar ist. Als in den letzten Sommern ganze Landstriche Südeuropas in Flammen standen, hiess es angesichts der dystopischen Medienbilder zwar allerorten, es sei «wie im Film». Einen Katastrophenfilm über die realen Schrecken des menschengemachten Klimawandels gab es allerdings nicht mehr. Dabei wäre es doch vielleicht gerade der richtige Anlass, nicht mehr bei der Katastrophe stehen zu bleiben – sondern sich zu fragen, was denn eigentlich die gesellschaftlichen Bedingungen sind, die es möglich machen, sehenden Auges in ein solches Verhängnis zu geraten.

Gäbe es überhaupt eine Möglichkeit, das Zusteuern der Gesellschaft auf die Katastrophe filmisch anders zu verhandeln, also nicht in einer Weise, in der aller Konflikt zum manichäischen Gut gegen Böse aufgebauscht werden muss? Denn so bleiben am Ende nur Erlösungsfantasien oder Demut übrig – oder die Überzeugung, der Mensch sei grundlegend zu böse oder zu blöd, um etwas anderes als den Untergang zu verdienen. Ein erster Schritt bestünde vielleicht darin, das zum Gegenstand zu machen, was der eigentlichen Katastrophe zugrunde liegt: die Gesellschaft.

Am dichtesten dran an diesem gesellschaftlichen Kern der Katastrophe waren wohl von Beginn an die zahlreichen Zombiefilme und -serien, die im neuen Jahrtausend wieder eine Hochkonjunktur erlebten. Ob «28 Days Later», «World War Z» oder auch Persiflagen wie «Shaun of the Dead» und Serienhits wie «The Walking Dead» – die Katastrophe war hier eigentlich eine Form der Regression. Durch Mutationen oder Virusepidemien, so das gängige Motiv, würde die Gesellschaft in einen gnadenlosen Krieg aller gegen alle zurückgezwungen, in einen blutrünstig überspitzten Naturzustand. Die jahrzehntelange Anziehung dieses Motivs liesse sich kaum erklären, wenn dieser vermeintlich archaische Überlebenskampf gegen die untoten und namenlosen Restmenschen nicht ein Spiegelbild jenes Selbsterhaltungsdrucks unter Wettbewerbsbedingungen wäre, den wir in seiner Grundform aus unserem Leben kennen.

Zur Kritik dieser gesellschaftlichen Formen taugt der Zombiefilm jedoch kaum, auch er muss den konkreten Schrecken der Schlechtigkeit unserer Welt als Horror verdrängt lassen. Am ehesten kommt dem noch John Carpenters «They Live» (1989) nahe, der das Zombiemotiv auf eine Kritik der Konsumgesellschaft übertrug, die die Menschen durch ihre Werbebotschaften zum «Gehorchen» brachte. Aber auch hier geht Gesellschaftskritik vollkommen im Ressentiment auf, dass die Menschen eben Konsumzombies seien, und lässt dazu noch ein Raunen übrig, wer denn eigentlich diese gewaltige Kontrolle ausübe.

Unbehagen auf Long Island

Taugt der Katastrophenfilm also nicht zur Aufklärung? Diesem Urteil zum Trotz entsteht gerade eine interessante neue Konjunktur von Katastrophenfilmen, die den Untergang dezidiert als innergesellschaftlichen Zusammenhang begreifen, und zwar im Szenario des Zivilisationszusammenbruchs. Den ersten Aufschlag dazu machte der Regisseur und Drehbuchautor Sam Esmail mit seinem unter anderem von Barack Obama produzierten Netflixfilm «Leave the World Behind», jetzt folgt «Civil War» von Autor und Regisseur Alex Garland. Während «Civil War» den Bürgerkrieg einer fiktiven Westernfront gegen die US-Regierung zum Schauplatz macht (vgl. «Roadtrip durch die Kampfzone»), verhandelt «Leave the World Behind» den Zusammenbruch der Zivilisation in einem Kammerspiel zur Nabelschau der bürgerlichen Mittel- bis Oberschicht.

In einem Anfall von Menschenhass verordnet Amanda Sandford (Julia Roberts) ihrer Familie spontan einen Kurzurlaub ausserhalb New Yorks. Auf Long Island hat sie dafür eine geschmackvolle, moderne Villa gebucht, wo sie mit Ehemann Clay (Ethan Hawke) und den beiden Kindern das Wochenende verbringen will. Bereits in den ersten Szenen des Aufenthalts verbreitet sich ein Unbehagen, und während des Strandausflugs der Familie havariert ein Öltanker: Das kenternde Symbol der weltumspannenden Lieferkette läuft unmittelbar vor ihren Füssen auf. Im Laufe des Tages fallen Handy- und Internetempfang aus, abends sendet auch das Fernsehen nicht mehr.

Wie in unser aller Lebenserfahrung ist die naheliegende Reaktion auf derlei Verunsicherungen das Festhalten an der Normalität. Der Film will gewissermassen an die Grenze dieser Spannung führen. Am Abend des ersten Tages klingelt es an der Tür: G. H. Scott (Mahershala Ali) stellt sich als Eigentümer des Hauses vor, der mit seiner Tochter Ruth (Myha’la Herrold) vom Opernbesuch in der Stadt nach Hause zurückkehren musste. In der kurzen Begegnung entspannt sich allerhand bürgerliche Konfliktdynamik: Amanda misstraut der Geschichte, wirft ihrem Mann Naivität vor, dieser ihr Hysterie, obwohl er mit seiner Beschützerrolle hadert. Beide wollen G. H. nicht rassistisch abwerten, indem sie Schwarzem Wohlstand zu offensichtlich misstrauen, und flüchten sich in ihre Rechtsansprüche auf die gemietete Unterkunft. G. H. hingegen wahrt alle Höflichkeit gegenüber den Gästen, was ihm seine Tochter als Sklavenmentalität vorhält – sie ahnt wohl, dass im Ernstfall kein Verlass auf den dünnen Firnis der Zivilisation ist.

Und diese Zivilisation bricht im Folgenden tatsächlich zusammen, gezeigt lediglich durch Andeutungen bis hin zu albtraumhafter Symbolik: die Rauchsäule über der Skyline, eine Horde Rehe, die in die Gärten eindringt, schrille Sirenen, abstürzende Flugzeuge, automatisierte Teslas, die reihenweise kollidieren, ansonsten Menschenleere.

Keinen Deut schlechter

Der immer offensichtlicher werdende Zusammenbruch lässt die bürgerlichen Dispositionen ins Leere laufen – und darin, dass er dies ausagiert, liegt die Stärke des Films. Clay fällt in die heillose Überforderung, als Familienoberhaupt Versorgung und Sicherheit zu gewährleisten. Amanda wird in ihrer bürgerlichen Kälte zur Selbstkritik gedrängt, weiss diese aber nicht anders zu artikulieren, als dass sie auf jene Gesellschaft schimpft, die ihr all diese Widersprüche aufgezwungen hat. Ruth, deren Mutter mittlerweile in einem der zahlreichen vom Himmel fallenden Flugzeuge umgekommen sein muss, klammert sich an das Schutzversprechen ihres Vaters G. H. Dieser wiederum fühlt sich – aufgrund des bürgerlich-universalistischen Standpunkts, der ihm die Ideologie seines gesellschaftlichen Aufstiegs ist – für das Wohl aller Beteiligten verantwortlich.

Es soll wohl eine Ironie der Geschichte sein, dass die jüngste Figur als einzige diesem Schrecken entgehen wird: Rose (Farrah Mackenzie), die Tochter von Amanda und Clay. Ihre Erwartungen an eine bürgerliche Gesellschaft sind schon dermassen auf dem Tiefpunkt, dass sie sich angesichts von deren Zusammenbruch nur für die ausgefallene Internetverbindung interessiert, was es ihr verunmöglicht, das Serienfinale der 1990er-Sitcom «Friends» zu schauen. Von ihrer Familie wird Rose deswegen belächelt, selbst wenn sie versucht, sich mit ihren Sorgen etwa ihrem Bruder anzuvertrauen.

Die Wahrheit ist, dass Rose, wenn sie an den wenigen Freuden parasozialer Simulation von bedeutungsvollen Beziehungen durch ihre Serie festhält, keinen Deut schlechter ist als all die anderen, die sich auch an die Reste von Normalität in der Katastrophe klammern. Clay ringt mit seiner nie zu erfüllenden Versorgerpflicht. Amanda versöhnt sich mit ihrer eigenen Menschlichkeit, bei der es angesichts des Untergangs aller ihrer sozialen Beziehungen wieder nur um sie selbst geht. Der liberale Universalismus von G. H. zerschellt an der brutalen Realität einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die nur der Idee nach über Ungleichheit und Überlebenskampf hinausgekommen ist.

Vielleicht hat sich «Leave the World Behind» Walter Benjamins beliebtes Bonmot zu Herzen genommen, dass die Katastrophe eben sei, dass es so weitergehe. Gemeint war damit, dass offensichtlich keine Krise die Kraft zu haben schien, die Macht des Bestehenden nachhaltig zu erschüttern. Und ja, bei jeder neuen Hiobsbotschaft vom drohenden Kollaps des Golfstroms, Meeresanstieg und Dürre bis zu der nächsten Waldbrandwelle, dem drohenden Weltkrieg oder dem Schrecken lokaler Kriege überall auf der Welt stellt sich unweigerlich die Frage: Warum tun wir nichts dagegen? Die wenig erbauende Antwort: Weil «wir» und «unser Tun» nicht einfach als Alternative vom Himmel fallen, sondern auf eine bestimmte Art nicht zu trennen sind von jener gesellschaftlichen Tendenz des Untergangs. Der um alles in der Welt zu verteidigende Normalzustand der bürgerlichen Gesellschaft führte diese Gesellschaft eben auch in die Katastrophe.

Aus der Ohnmacht heraus

Millionenfach setzten Menschen in Deutschland jüngst ein «starkes Signal für die Demokratie», um endlich etwas gegen den Rechtsruck und den drohenden Faschismus zu tun. Ehrlicherweise bleibt aber auch ihnen die Perspektive vollkommen offen, was diese Demokratie angesichts der sich zur Naturgewalt angehäuften gesellschaftlichen Verhängnisse eigentlich ausrichten soll. Ebenso wenig kann die besorgte Zivilgesellschaft eine Antwort darauf geben, wie diese Verteidigung der Demokratie auf jene Probleme zu reagieren hat, die aus der liberal-demokratischen Verfasstheit selbst entstanden sind und die ihr jetzt wie ein Angriff von aussen und eine externe Bedrohung von rechts erscheinen.

Jeder Appell, man müsse jetzt sein Leben ändern, endlich auf dem örtlichen Marktplatz Flagge für die Demokratie zeigen oder das Auto oder wenigstens den Flieger in den Urlaub stehen lassen, muss sich daher mit dem Problem auseinandersetzen, dass das auch ganz «normale» Verhaltensweisen sind. Ein Aufstand der Anständigen, ebenso wie der individuelle Verzicht, um nicht noch mehr Schuld am Untergang auf sich zu ziehen, sind Übersprunghandlungen aus der Ohnmacht heraus, nicht deren Überwindung – diese Verstrickung ist das Kennzeichen unserer Normalität. Und so ergeht es den Protagonist:innen in «Leave the World Behind» tatsächlich wie uns: In die Katastrophe gehen wir ganz normal.

Diese verhängnisvolle Verstrickung von Gesellschafts- und Gedankenform sowie die Ohnmacht, die daraus erwächst, ist freilich schwer erträglich – und als solche undarstellbar. Dass man sich angesichts der Versäumnisse zur Einhegung des Klimawandels auf die Position stellt, die Menschen seien so etwas wie eine Krankheit für den Planeten und müssten ihre göttliche Strafe erhalten, ist viel wahrscheinlicher als eine selbstkritische und solidarische Einlassung auf die Ambivalenz unserer Zivilisation. Menschen werden sich eher auf einen darstellbaren, also konkreten Feind stürzen, als die abstrakte Dimension der Verstrickung anzuerkennen. Das jedenfalls sind die Angebote, die uns Katastrophenfilme machen: Entweder tendieren sie zur Reflexion über die schlechte Natur des Menschen, oder sie haben irgendeine Projektionsfläche zur Schuldentlastung parat, vom Alienangriff bis zum Erdkernstillstand. Vor diesem Hintergrund ist der kritische Blick auf die bürgerliche Gesellschaft und ihre angesichts der Katastrophe ohnmächtigen Subjekte ein Fortschritt.

Dieser Text ist in einer längeren Version zuerst bei www.54books.de erschienen.

«Leave the World Behind». Regie und Drehbuch: Sam Esmail. USA 2023. Bei Netflix.